Der erste Einsatz einer Gentherapie

Der 14. September 1990 markierte den Beginn einer neuen Ära der Medizingeschichte, denn der vierjährigen Ashanti DaSilva wurden gentechnisch veränderte T-Zellen injiziert und so wurde sie die erste Gentherapiepatientin.

Der "Bubble Boy"

Die meisten von uns sind zumindest ein wenig mit dem Schicksal von David Vetter vertraut, dem sogenannten "Bubble Boy". David litt an der X-chromosomalen schweren kombinierten Immundefizienz (X-SCID). Mutationen im IL2RG Gen resultieren hierbei in Defekten in einer Vielzahl von Interleukinrezeptoren. Die Folge der fehlerhaften Interleukin-Signalwege ist bei X-SCID das komplette Fehlen der T- und NK-Zellen sowie der Verlust der B-Zellfunktionen. In Kürze: Der Patient verfügt über kein adaptives Immunsystem und ist Krankheitserregern daher hilflos ausgeliefert. Mangels adäquater Behandlungsmethoden musste David daher beinahe sein gesamtes Leben in einer sterilen Kunststoffblase verbringen. Nur während weniger Stunden konnte er in einem eigens für ihn von der NASA angefertigten Anzug die Außenwelt erkunden. Die einzige Chance auf Heilung war damals eine Knochenmarkspende, mit der im Idealfall das Blutsystem gegen ein gesundes ausgetauscht werden konnte. David hatte nicht so viel Glück: Das Knochenmark seiner Schwester war mit dormantem Epstein-Barr Virus kontaminiert und Davids unterentwickeltes Immunsystem war nicht in der Lage die Infektion und das resultierende Lymphom zu bekämpfen. Er starb 1984 im Alter von nur 12 Jahren, vier Monate nach der Operation, die ihm eigentlich ein normales Leben ermöglichen sollte.

Warum Gentherapie?

Mit den Verbesserungen der Screening- und Transplantionstechniken haben SCID Kinder heute eine deutlich bessere Prognose, doch noch immer ist der Austausch des Knochenmarks ein Hochrisikoeingriff und passende Spender sind nicht immer zur Hand. Für all diese Probleme versprach die Gentherapie eine passende Lösung: Abstoßungsreaktionen können nicht auftreten, da man die körpereigenen Zellen des Patienten mit einer gesunden Version des defekten Gens transfiziert und auch die Suche nach passenden Spendern wird so umgangen. Im Fall von SCID haben die reparierten Immunzellen einen Selektionsvorteil gegenüber den nicht veränderten, defekten Zellen und verdrängen diese. Das Resultat: Eine stabile und funktionstaugliche Immunzellpopulation.

Der erste Versuch

Dieses Konzept wurde im September 1990 erstmals getestet. Bei Ashanti DaSilva, geboren 1986, wurde SCID erst im Alter von 26 Monaten nach einer nahezu pausenlosen Serie von Infektionen diagnostiziert. Sie litt an einer Adenosin-Deaminase (ADA) Defizienz, einer im Vergleich zum X-SCID weniger schweren und etwas selteneren Variante des SCID. Bereits seit 1985 arbeiteten die Ärzte W. French Anderson und R. Michael Blaese an einer retroviralen Gentherapie gegen ADA-SCID und Anfang September 1990 erhielten sie die Zulassung der FDA für eine erste klinische Studie. Der damals vierjährigen Ashanti DaSilva wurde Blut entnommen, die T Zellen isoliert und diese anschließend mit einem retroviralen Vektor, der das gesunde ADA Gen trägt, transfiziert. Am 14. September 1990 wurden diese Zellen wieder reinjiziert und Ashanti wurde die erste Gentherapiepatientin. Zur Sicherheit bekam sie wöchentlich zusätzliches ADA gespritzt, eine Entscheidung die wahrscheinlich die Langlebigkeit der Gentherapie negativ beeinflusste. Da die transfizierten Zellen unter Gabe von ADA keinen selektiven Vorteil gegenüber den unbehandelten Zellen besaßen, konnten sie keine stabilen Population bilden und starben nach und nach ab. Insgesamt wurde dieser Versuch aber als Erfolg gewertet, auch wenn diese Methode noch lange keine Heilung darstellt. Die Patientin zeigte keine bemerkenswerten Nebenwirkungen und ist abgesehen von den obligatorischen ADA Injektionen normal aufgewachsen. Ab 1990 waren Gentherapien vollends in der medizinischen Forschung angekommen, auch wenn es einige herbe Rückschläge gab. Am bekanntesten sind die Leukämiefälle nach einer experimentellen Gentherapie gegen X-SCID sowie der Tod einiger Patienten nach einer Behandlung des Wiskott–Aldrich Syndrom. Doch viele andere klinische Studien waren erfolgreich und versprechen nun Heilung für diverse vormals un- bzw. schlecht behandelbare Krankheiten, darunter auch X- und ADA-SCID.

Bildnachweis

David Vetter bei einem seiner seltenen Ausflüge. (Photo: Baylor College of Medicine Photo Archives)

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