Niedermolekulare Inhibitoren - Eine Auswahlhilfe

Niedermolekulare (engl.: small molecules) Inhibitoren gehören zu den vielseitigsten und erschwinglichsten Werkzeugen, um die Funktion von Proteinen und ihre Rolle sowohl in der natürlichen Physiologie als auch in der Krankheitspathologie zu verstehen. Um für die Erforschung biologischer Prozesse oder die Validierung neuartiger Targets geeignet zu sein, müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen, damit zuverlässige und reproduzierbare Daten generiert werden können. Da es manchmal schwierig ist, aus der Fülle der zur Verfügung stehenden Moleküle den am besten geeigneten Inhibitor zu identifizieren, haben wir eine Liste von Eigenschaften zusammengestellt, die bei der Auswahl berücksichtigt werden sollten.

Da prinzipiell erstmal jedes neue "kleine Molekül" für den Einsatz in der eigenen Forschung in Frage kommen kann, müssen für eine gezielte Auswahl folgende Kriterien beachtet werden: 1) Chemie, 2) Potenz, 3) Selektivität und 4) Kontext der Verwendung. Es ist dabei immer zu empfehlen, die Fachliteratur zu studieren, um die im eigenen Forschungsgebiet gut etablierten Methoden kennenzulernen und die Vor- und Nachteile (z.B. Zytotoxizität oder Off-Target-Effekte) bestimmter Verbindungen zu erfahren. Detaillierte Informationen über verfügbare Substanzen können auch mithilfe einer zielgerichteten Suche in Web-basierten Datenbanken wie Chemical Probes, Probe Miner, IUPHAR’s Guide to Pharmacology oder Probes and Drugs gefunden werden. Darüber hinaus gibt Cayman Chemical auf jedem Produktdatenblatt relevante und detaillierte biologische Informationen, die bei der Auswahl der richtigen Substanz für das jeweilige Experiment helfen können.

Bei neueren oder relativ unerforschten Inhibitoren ist es oft am besten selbst Vorversuche durchzuführen, um zu verstehen, wie der Stoff im eigenen experimentellen System reagiert. Zwar müssen nicht alle Verbindungen in jedem Fall die unten vorgeschlagenen Grenzwerte erreichen, aber die Berücksichtigung dieser Parameter hilft bei der Entscheidung, ob die jeweilige Substanz für den gewünschten Zweck geeignet ist.

structure

Chemie von Inhibitoren

  • Die Struktur sollte feststehen, und die Synthese reproduzierbar sein. Gängige toxische Komponenten und Pan-Assay-interferierende Bestandteile (PAINS) sind zu vermeiden. Ebenso wie chemisch reaktive Gruppen, es sei denn, sie sind z.B. für die kovalente Addition erforderlich.
  • Die Stabilität (Reinheit und chemische Identität) sollte in den verwendeten Medien aufrechtgehalten werden, wobei auf eine eventuelle pH-Empfindlichkeit geachtet werden muss. Die Aktivität sollte in den Kulturmedien entsprechend bestehen bleiben. Das Molekül sollte keine unspezifische chemische Reaktivität (z.B. Redoxreaktionen oder Membrandestabilisierung) aufweisen.
  • Die Löslichkeit sollte in wässrigem Medium hinreichend hoch sein (z.B. das >10-fache des IC50 oder >0,05 μg/mL in niedrig-prozentigem DMSO). Sowohl die Löslichkeit als auch die Lipophilie müssen ausgeglichen sein. Stark geladene, gut lösliche Verbindungen können eine geringe Zell- oder Gewebspermeabilität aufweisen. Hydrophobe Verbindungen hingegen können eine hohe Permeabilität und Potenz besitzen, aber gleichzeitig Löslichkeitsprobleme verursachen. Die Verwendung hydrophober Moleküle in Salzform kann die Wasserlöslichkeit meist verbessern.​
  • ​Die Permeabilität, sowohl durch passive Vorgänge als auch durch aktiven Transport, ist für die Wirksamkeit in einem zellulären Assay unerlässlich. Die Durchdringung der Blut-Hirn-Schranke ist wichtig, wenn Wirkungen auf das zentrale Nervensystem (ZNS) gewünscht sind. Caco-2-Zell-Permeabilitätstests oder parallele künstliche Membran-Permeabilitätstests (PAMPAs) sind gängige Tests zur Beurteilung der passiven Diffusion. Die MDCK-MDR1-Permeabilität kann zum Prüfen der ZNS-Durchdringung, einschließlich des aktiven Effluxes durch das P-Glykoprotein (PGP), verwendet werden.

 

ic50

Potenz von Inhibitoren                   

  • IC50 und Ki sind die gängisten Kennziffern für die Potenz von Inhibitoren. Im Zusammenhang mit Enzym-Hemmung beschreibt IC50 die benötigte Inhibitor-Konzentration, um unter den gegebenen experimentellen Bedingungen die Rate der enzymatischen Reaktion um 50% zu mindern. Ki kennzeichnet für die Bindung des Inhibitors an das Enzym das Verhältnis von Abbau des Inhibitor-Target-Komplexes (koff) zu Neubildung des Inhibitor-Target-Komplexes (kon). Die Bezeichnung Ki ist eine thermodynamische Gleichgewichtskonstante und deshalb ein festgelegter Wert. IC50 dagegen charakterisiert die Inhibierung unter definierten Bedingungen und ändert sich in Abhängigkeit von Faktoren wie z.B. der gewählten Substratkonzentration. Im Falle der kompetitiven Inhibitoren können IC50 und Ki über die Cheng-Prusoff-Gleichung in Beziehung gesetzt werden: IC50=Ki*(1+[S]0/Km). Dies ist ein nützliches webbasiertes Tool zur Umrechnung von IC50-Werten in Ki-Werte unter Verwendung verschiedener Inhibitor-Bindungs-Modelle. Zu beachten ist, dass auch für andere Proteine als Enzyme, wie z.B. G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) oder Ionenkanäle die antagonistische Wirksamkeit durch Ki oder IC50 angegeben werden kann. Bei den GPCRs ist IC50 (oder oft auch EC50) ein Hinweis auf die Inhibierung einer zellulären Antwort (d.h. ein Absinken der cAMP-Konzentration), wohingegen sich Ki nur auf die Rezeptorbindung in Abhängigkeit vom natürlichen Liganden bezieht. 
  • In vitro​ Potenz-Standardgrößen sind typischerweise IC50- oder Ki-Werte <100 nM in biochemischen Assays und <1-10 μM in zellbasierten Assays. Die Potenz in Enzym-Assays sollte mit der Potenz in Zellen korrelieren. Um Off-Target-Effekte zu vermeiden, sollte die geringstmögliche Konzentration eingesetzt werden. Inhibitoren, die in Zellen nur bei Konzentrationen >10 μM wirksam sind, wirken wahrscheinlich unspezifisch auf Proteine.
  • In vivo Potenz-Standardgrößen sollten im Zielgewebe Werte erreichen, die für die zelluläre Potenz relevant sind. Es muss auf Effekte geachtet werden, die mit der Absorption, der Auflösung, dem Metabolismus oder der Ausscheidung der Substanz zusammenhängen. Die metabolische Stabilität ist von entscheidender Bedeutung, wenn die Verbindung in Tierversuche überführt werden soll.
  • Die dosisabhängige Aktivität sollte deutlich erkennbar sein, wenn die Experimente mit einer empfohlenen Konzentrationsreihe von niedrig bis hoch durchgeführt werden. Eine fast vollständige Hemmung des Zielmoleküls bei gesättigter Konzentration bestätigt die Wirksamkeit der Verbindung.
  • Für die Analyse der Struktur-Aktivitäts-Beziehung (SAR) wird die Bindung verschiedener Substanzen mit unterschiedlichen Aktivitäten an ein Enzym oder einen Rezeptor interpretiert. So ermöglicht sie den Forschern die Anforderungen, Möglichkeiten und Einschränkungen der Zielprotein-Bindung zu verstehen. Dabei ist wichtig, dass eine SAR-Serie mehr als 3-4 Größenordnungen der Potenz abdeckt. Ein "flacher" SAR-Wert, bei dem eine ganze Reihe von Verbindungen, die große strukturelle Unterschiede abdecken, alle eine nahezu äquivalente und schwache Potenz aufweisen kann darauf hindeuten, dass die Wirkungsweise eines Zielmoleküls Schwierigkeiten aufweist.

 

profiling

Selektivität der Inhibitoren

  • Durch Profiling wird die Selektivität für einander ähnliche Zielstrukturen bestimmt, was oft ein kritischerer Faktor als die Potenz ist. In biochemischen Assays wird ein Inhibitor in der Regel als selektiv für ein jeweiliges Target definiert, wenn die Potenz um den Faktor >10-100 höher ist als die Potenz für andere verwandte Zielstrukturen. Inhibitoren, die so konzipiert sind, dass sie für das gewünschte Ziel selektiv sind, können trotzdem bei ausreichend hoher Konzentrationen auch andere Proteine binden. Es ist wichtig, sich über alle zusätzlichen Aktivitäten im Hinblick auf eine bestimmte chemische Klasse zu informieren.
  • Negativkontroll-Experimente können durchgeführt werden, um zu beweisen, dass der Inhibitor bei der Konzentration, die zur Hemmung des gewünschten Targets verwendet werden soll, die Funktion von Off-Target-Proteinen nicht effektiv verändert. Weitere gut geplante Negativkontrollen helfen dabei, die Wirkung des Inhibitors zu bestätigen. So z.B. die Exposition der Zellen oder Proteine ausschließlich mit dem verwendeten Lösungsmittel oder die Substitution durch eng verwandte inaktive Strukturanaloga, wie z.B. R/S-Stereoisomere.

  • Positivkontroll-Experimente können verwendet werden, um nachzuweisen, dass sich der Inhibitor in Fällen, in denen ein Effekt nicht nachweisbar ist, trotzdem wie beabsichtigt verhält. Diese Kontrollgruppe wird nicht der experimentellen Behandlung, sondern einer anderen Behandlung ausgesetzt, von der bekannt ist, dass sie die erwartete Wirkung hervorruft.
  • Orthogonale Substanzen mit vergleichbarer Aktivität, aber von einem anderen Chemotyp und/oder einem anderen Wirkmechanismus, können ebenfalls für zusätzliche Kontrollen in Betracht gezogen werden. Wenn die orthogonale Probe eine gleiche Reaktion erzeugt, ist es wahrscheinlicher, dass die Inhibition des Targets für den beobachteten Phänotyp verantwortlich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, könnte es darauf hindeuten, dass der Inhibitor verfälschende, Off-Target- oder toxische Effekte verursacht.

 

mixed-inhibition

Anwendungskontext der Inhibitoren

  • Der Wirkmechanismus ist wichtig, um die Charakteristika des Inhibitors weiter zu erfassen, und so zu ermitteln, wie natürliche Substrate in physiologischen Konzentrationen die Wirksamkeit des Inhibitors modulieren. Somit sollen alle mit diesem Mechanismus verbundenen Schwachstellen identifiziert werden. Zu den möglichen Hemmungsmechanismen gehören:
    • Irreversible Hemmung —  Der Inhibitor bindet das Enzym, oft durch kovalente Bindung, wodurch es irreversibel inaktiviert wird. Zwar sind irreversible Inhibitoren typischerweise kovalent, nicht-kovalente Inhibitoren können aber teilweise so langlebig sein, dass sie als irreversible Inhibitoren wirken.
    • ​​​Reversible Hemmung kann in folgende Subkategorien eingeteilt werden:
      • Kompetitive Hemmung — Der Inhibitor und das Substrat konkurrieren um das freie Enzym. Beide behindern die Bindung des jeweils anderen, da das Bindungsereignis typischerweise an der aktiven Stelle (orthosterischen Stelle) des Targets stattfindet, genau dort, wo auch das Substrat bindet.
      • Nicht-kompetitive Hemmung — Der Inhibitor bindet gleichermaßen gut an das freie Enzym wie auch an den Enzym-Substrat-Komplex. Die nichtkompetitive Hemmung erfolgt meist an einer allosterischen Stelle, sie kann aber auch bei der Bindung der orthosterischen Stelle auftreten. Dies geschieht oft in Fällen, in denen die aktive Stelle eine Bi-Substratstelle ist (wo ein Enzym mit einem Substrat konkurriert und mit einem anderen nicht).
      • Unkompetitive​ Hemmung — Der Inhibitor kann nur an einen bestehenden Enzym-Substrat-Komplex binden und so einen reversiblen ternären Komplex bilden, der inaktiv ist. Die unkompetitive Hemmung ist ein Spezialfall der gemischten Hemmung.
      • Gemischte Hemmung — Der Inhibitor bindet an das Enzym im freien Zustand anders als im Enzym-Substrat-Komplex. Diese Art von Inhibitor kann eine größere Affinität für den einen ("nicht-kompetitive" Hemmung) oder den anderen ("kompetitive" Hemmung) Zustand aufweisen.
      • Allosterische Hemmung — Der Inhibitor bindet an eine andere allosterische Stelle des Targets als das aktive Zentrum, wodurch eine Konformationsänderung im Zielenzym verursacht wird, die eine Hemmung ermöglicht. Diese Konformationsänderungen können entweder die Bildung des normalen Enzym-Substrat-Komplexes am aktiven Zentrum beeinflussen, den Übergangszustand destabilisieren oder die Fähigkeit zur Senkung der katalytischen Aktivierungsenergie vermindern.
      • Partielle Hemmung — Die Wechselwirkungen zwischen Enzym, Substrat und Inhibitor erzeugen einen Komplex mit einem geringeren Umsatz als der Enzym-Substrat-Komplex. Eine Teilaktivität bleibt erhalten, weil das katalytische Zentrum des Enzym-Substrat-Inhibitor-Komplexes eine gewisse Fähigkeit beibehält, sich in der Nähe des Substrats auszurichten und so die Katalyse zu erleichtern.
      • Fest-bindende ​Hemmung — Der initiale Enzym-Inhibitor-Komplex isomerisiert zu einem zweiten, festeren Komplex. Fest gebundene Inhibitoren tendieren dazu, nicht-kompetitive Phänotypen zu zeigen, obwohl sie an das Zielenzym sowohl in kompetitiver, nicht-kompetitiver als auch unkompetitiver Weise binden können. Da sich dies als langsam zunehmende Enzymhemmung äußern kann, die zeitabhängig ist, werden traditionelle Michaelis-Menten-Kinetiken einen falschen Wert für Ki liefern. Ein genauerer Wert für Kkann durch die Analyse der Konstanten der kon- und koff -Rate für die Inhibitorassoziation ermittelt werden.
      • Zeit-abhängige Hemmung — Der Inhibitor bindet auf der Zeitachse des enzymatischen Umsatzes nur langsam an das Enzym, was dazu führt, dass der beobachtete Beginn der Hemmung verzögert wird. Dies kann zu niedrigen Werten für die Konstante der Katalysatorrate (kcat) führen.
  • Die Inhibitor-Target-Kinetik bestimmt die Bindung des Inhibitors an das Target einschließlich der kon, der Verweilzeit und des koff. Sie fügt der Potenz und Selektivität der Substanz damit eine zusätzliche Dimension hinzu. Verbindungen, die langsam von ihren Targets dissoziieren, können unter Umständen bei niedrigeren Konzentrationen eine verlängerte Aktivität aufweisen, sodass entweder die Dosierungshöhe oder die Dosierungshäufigkeit reduziert werden kann. Häufig korreliert die Verweilzeit besser mit der in vivo-Aktivität als die thermodynamische Potenz.
  • Die Verwundbarkeit des Targets ist eine Funktionsgröße, die von der minimalen Intensität der Target-Belegung abhängt, die erforderlich ist, damit ein Effekt beobachtet werden kann. Targets mit hoher Verwundbarkeit erfordern nur eine geringe Besetzung des Targets (d.h. eine geringere Exposition mit Inhibitoren), um den erwarteten Effekt zu erzielen. Zellbasierte Auswaschexperimente können Einblicke in die Verwundbarkeit des Targets geben, indem sie helfen, die phänotypischen Auswirkungen der Target-Belegung zu bestimmen, sobald der Inhibitor aus dem System entfernt wurde.
  • Der physiologische Kontext der Zielstruktur und die Downstream-Effekte der Target-Bestzung müssen berücksichtigt werden. Zum Beispiel könnte die Störung eines Enzyms, das den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt eines Stoffwechselweges katalysiert, größere Konsequenzen haben als die Störung anderer Enzyme im Stoffwechselweg. Im Zusammenhang mit Antibiotika oder Krebsbekämpfung kann sich die Hemmung der letzten Schritte eines biochemischen Stoffwechselweges, die den energiereichen bzw. kostenintensiven biochemischen Produkten nachgeschaltet sind, als besonders toxisch für die Zielzelle erweisen.
  • Der zeitliche Rahmen, der für den zu erwartenden phänotypischen Effekt oder für die Auslösung einer Signalkaskade benötigt wird, sollte erfasst und bei der Planung Ihres Assays berücksichtigt werden.
  • Komplementäre Experimente unter Verwendung verfügbarer RNAi oder Mutanten, helfen, einen Überblick über die Rolle eines bestimmten Targets innerhalb eines biologischen Systems zu erhalten.
  • Die Einsatzfähigkeit des Wirkstoffs für das Zielmolekül wird letztlich davon abhängen, wie gut er mit dem biologischen Kontext der untersuchten Hypothese verknüpft ist, da die Verwendung eines Inhibitors in einem biologischen System nicht unbedingt auf ein anderes übertragen werden kann. Ein geeigneter Inhibitor ist sowohl für das untersuchte Target als auch für den breiteren wissenschaftlichen Kontext anwendbar.
  • Die Verfügbarkeit der Substanz sollte sichergestellt sein und zudem sollte sie in Mengen erhältlich sein, die eine weitere Verwendung ermöglichen.

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