Cheers, Ladies: Frauen in der Wissenschaft

Verfasst von Emily Locke

„Die Wissenschaft wird leider nicht das Hauptthema sein. Als männlicher Wissenschaftler fühle ich mich diskriminiert, wenn ich hier bin, angesichts der Atmosphäre, in der dieses Treffen stattfindet.“ Diese Aussage von Kurt Wüthrich bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2023 stieß auf tiefe Empörung und löste angeregte Diskussionen über Sexismus in der Wissenschaft aus. Wüthrich, der 2002 für die Entwicklung der Kernspinresonanzspektroskopie mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, beschwerte sich darüber, dass die Veranstaltung in Lindau den Fokus auf die Vielfalt setze und sprach von einer männerfeindlichen Umgebung. Beispielsweise wären für ein Gruppenfoto der Preisträger*innen die Frauen nach vorne gestellt worden, wodurch man alle anwesenden Männer diskriminiert hätte. An dieser Stelle sollte man anmerken, dass gerade mal fünf der 39 eingeladenen Redner Frauen waren [1].

Glücklicherweise wurden Wüthrichs Aussagen nicht unkommentiert stehen gelassen. Eine mutige Nachwuchswissenschaftlerin aus dem Publikum meldete sich zu Wort: „Als weibliche Forscherin war es für mich sehr unangenehm, einen Nobelpreisträger zu sehen, der so über die sogenannte männliche Diskriminierung spricht. Es mag individuelle Diskriminierung von Männern geben, aber das ist nichts im Vergleich zu der systematischen und strukturellen Diskriminierung, der Frauen ausgesetzt sind, insbesondere in den MINT-Fächern.“ [1] Diese junge Frau hat damit die Wahrheit gut getroffen: Bisher hat noch kein Land auf der Welt die Geschlechtergleichberechtigung erreicht und insbesondere in der Wissenschaft ist die Repräsentation von Frauen noch gering [2, 3]. Anlässlich des Internationalen Frauentages 2024 werfen wir einen Blick auf den anhaltenden Kampf von Forscherinnen um Anerkennung und auf die Leistungen einiger herausragender Wissenschaftlerinnen.

Eine kleine Zeitreise: Die Rolle der Frau in der Wissenschaft durch die Jahrhunderte

Dass Frauen in der traditionellen Wissenschaftsgeschichte kaum vertreten sind, bedeutet nicht, dass sie keinen Beitrag zur Erforschung der Natur geleistet haben. Bereits in der Antike schufen Frauen neues Wissen in den Bereichen Medizin und Chemie, viele der aktiven Mitglieder der mathematisch-philosophischen Denkschulen im antiken Griechenland waren weiblich. Erstmals im europäischen Mittelalter wurden Forschende per Geschlecht aufgeteilt und die weibliche Wissenschaft in die Nonnenklöster verlagert. Begründet wurde diese Änderung damit, dass Frauen die männlichen Geistlichen von deren christlicher Lebensweise ablenken würden [3].

In den modernen Universitäten der Neuzeit waren Frauen nicht zugelassen, sodass sich die Wissenschaft in einem kleinen akademischen Zirkel zentrierte, von dem Frauen institutionell durch eine weitgehende Geschlechterseparierung im Bildungssystem ausgeschlossen wurden [4]. Die zu jener Zeit gesellschaftlich akzeptierte Vorstellung einer gottgewollten Unterordnung der Frau rechtfertigte eine Mädchen- und Frauenbildung, die sich auf Erziehungs- und Haushaltsaufgaben beschränkte (s. Zitat) [5].

„So muß sich die ganze Erziehung der Frau im Hinblick auf die Männer vollziehen. Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein, sich von ihnen lieben und achten lassen, sie großziehen, solange sie jung sind, als Männer für sie sorgen, sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten; das sind die Pflichten der Frau zu allen Zeiten, das ist, was man sie von Kindheit an lehren muß.“

– Jean-Jacques Rousseau: Émile oder über die Erziehung. Stuttgart 1963, S. 733.

Seit dem späten 19. Jahrhundert wurden Frauen in vielen Ländern nach und nach zur akademischen Befähigung für das wissenschaftliche Arbeiten zugelassen, wobei dieses Privileg vorerst nur wenigen Frauen aus der gesellschaftlichen Elite vorenthalten blieb [6]. Schließlich wurden im 20. Jahrhundert die Universitäten komplett für Frauen geöffnet – ein entscheidender Sieg nach dem langen Kampf um den Zugang zu höherer Bildung [3]. Jedoch prägten weiterhin konservative Rollenbilder die Gesellschaft, was Frauen den Aufstieg in akademischen Berufen erschwerte [7].

Die unbekannten Heldinnen: Der Matilda-Effekt

Trotz der Hindernisse, die Frauen in den Weg gelegt wurden, gehen viele bedeutende Erkenntnisse auf die Forschungsleistung von Wissenschaftlerinnen zurück. Dass diese in der Wissenschaftsgeschichte oftmals keine Beachtung finden, lässt sich mit dem Matilda-Effekt erklären. Dieser nach der US-amerikanischen Frauenrechtlerin Matilda Joslyn Gage benannte Effekt deutet auf eine patriarchal geprägte Wissenschaftsgeschichte hin. Er beschreibt die systematische Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird [8].

Auch Rosalind Franklin, eine britische Biochemikerin und Spezialistin für die Röntgenstrukturanalyse, wurde Opfer des Matilda-Effekts. Sie trug wesentlich zur Aufklärung der Doppelhelixstruktur der DNA bei, da diese nur mittels einer ihrer Röntgenaufnahmen von James Watson und Francis Crick nachgewiesen werden konnte [3]. Die beiden Männer erhielten 1962 den Nobelpreis für Medizin – Franklin erwähnten sie in ihrer Nobelpreisrede mit keinem Wort [9].

Neben Franklin waren zahlreiche andere Wissenschaftlerinnen von dem Matilda-Effekt betroffen, darunter Lise Meitner, die 1906 als eine der ersten Frauen in Physik an der Universität Wien promovierte und 1915 als Assistentin Max Plancks an das Institut für theoretische Physik der Universität Berlin berufen wurde. Hier begegnete sie Otto Hahn, mit dem sie über Jahrzehnte die Radioaktivität erforschte und 1938 die Kernspaltung entdeckte. Für diese bahnbrechende Erkenntnis gab es den Nobelpreis für Physik – jedoch erhielt Otto Hahn ihn allein [10]. Obwohl Meitner in ihrem Leben insgesamt 49-mal für den Nobelpreis nominiert wurde, blieb ihr diese Auszeichnung versagt [11].

Die Frauen und der Nobelpreis

Leider scheint das Zu-Kurz-Kommen von Frauen bei der Vergabe des Nobelpreises ein Trend zu sein: Unter den insgesamt 970 Preisträger*innen, die zwischen 1901 und 2023 mit der höchsten Anerkennung ausgezeichnet wurden, finden sich lediglich 65 Frauen (6,7 %) [12]. Die polnische Wissenschaftlerin Marie Curie war mit ihrem Nobelpreis für Physik im Jahr 1903 die erste Preisträgerin überhaupt. Sie entdeckte gemeinsam mit Henri Becquerel die Strahlungsfähigkeit bestimmter Stoffe und identifizierte, isolierte und charakterisierte in der Folgezeit die Elemente Radium und Polonium. 1911 wurde sie erneut ausgezeichnet, dieses Mal mit dem Nobelpreis für Chemie. Damit ist sie nicht nur die erste Frau, die einen Nobelpreis erhielt, sondern zusätzlich die bisher einzige Frau, der für ihre wissenschaftlichen Leistungen mehrfach ein Nobelpreis verliehen wurde, dazu auch noch in zwei unterschiedlichen Fachgebieten [3].

Bei der letzten Preisverleihung im Jahr 2023 fanden sich ebenfalls einige Frauen unter den Gewinnern. Eine von ihnen ist die ungarische Forscherin Katalin Karikó, die zusammen mit Drew Wiessman den Nobelpreis für Medizin für ihre Forschung an der RNA-vermittelten Immunaktivierung erhielt. Ihre bahnbrechenden Resultate ermöglichten die therapeutische Nutzung von mRNA und bildeten somit die Grundlage für die rasante Entwicklung mRNA-basierter Corona-Impfstoffe. Auch sie gehört zu eine der wenigen ausgezeichneten Frauen in ihrem Gebiet: "Ich habe gehört, dass ich erst die 13. Frau bin, die den Medizinnobelpreis bekommt. Vielleicht wird es mehr Frauen, mehr junge Menschen inspirieren. Hoffentlich.“ [13]

Der Kampf ist noch nicht gewonnen

Seit den kulturellen Revolutionen der 1970er Jahre haben sich die Arbeitsbedingungen für Frauen in der Wissenschaft verbessert, der Anteil von Wissenschaftlerinnen in akademischen Führungspositionen hat sich in den letzten Jahrzehnten signifikant erhöht und an vielen Hochschulen gibt es institutionalisierte Programme zur Förderung und Gleichstellung von Frauen [3].

Doch ist damit das Ziel der Geschlechtergleichberechtigung in der Wissenschaft schon erreicht? Ein Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland liefert die Antwort: Frauen sind im Bereich der Forschung und Entwicklung weiterhin deutlich unterrepräsentiert, ihr Anteil erreichte 2021 nur 29,4 %, einer der niedrigsten Werte in der EU. In den Forschungsabteilungen deutscher Unternehmen war der Frauenanteil 2021 mit nur 15,6 % besonders gering. Ihre Repräsentation ist im Hochschulbereich (41,4 %) und im Staatssektor (38,3 %) deutlich höher [14]. Trotzdem hat sich das Verhältnis der Geschlechter im letzten Jahrzehnt kaum geändert – es gibt also noch viel zu tun!

Biomol grüßt zum Internationalen Frauentag 2024 ganz herzlich alle Frauen, die die Labore in der Forschung, Industrie und Klinik am Laufen halten. Cheers, Ladies!

 

Quellen

[1] https://www.science.org/content/article/nobel-laureate-claimed-antimale-discrimination-early-career-researcher-called-it-out, 29.02.2024

[2] https://www.bmz.de/de/themen/feministische-entwicklungspolitik, 29.02.2024

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Frauen_in_der_Wissenschaft, 29.02.2024

[4] Monique Frize: The Bold and the Brave. A History of Women in Science and Engineering. University of Ottawa Press, Ottawa 2009, S. 61–62.

[5] Christine Meyer: Erziehung und Schulbildung für Mädchen. In: Notker Hammerstein, Ulrich Herrmann (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band II: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands. Beck, München 2005, S. 188–212.

[6] James C. Albisetti: Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2007, S. 43–61.

[7] Gisela Notz: „Mit scharrenden Füßen und Pfiffen begrüßt.“ 100 Jahre Frauenstudium in Deutschland. In: BdWi-Studienheft. 8, Dezember 2011, S. 10.

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Matilda-Effekt, 29.02.2024

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Rosalind_Franklin, 29.02.2024

[10] https://www.geo.de/wissen/21043-rtkl-weltfrauentag-zehn-wissenschaftlerinnen-die-sie-neben-marie-curie-kennen-sollten, 29.02.2024

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Lise_Meitner, 29.02.2024

[12] https://www.innovative-frauen-im-fokus.de/infopool/daten-und-fakten/gender-award-gap/frauenanteil-nobelpreis/, 29.02.2024

[13] https://www.tagesschau.de/wissen/nobelpreis-medizin-mrna-forschende-100.html, 29.02.2024

[14] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Wissenschaft-Technologie-digitaleGesellschaft/FrauenanteilForschung.html, 29.02.2024

Preview-Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hahn_and_Meitner_in_1912_(cropped).jpg,  https://en.wikipedia.org/wiki/File:Marie_Curie_c._1920s.jpg, https://en.wikipedia.org/wiki/File:Rosalind_Franklin_(1920-1958).jpg


 

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